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Warum ausgerechnet Orange?

Warum ausgerechnet Orange?

Gestern war ich auf der Abschlusstagung des Projekts "KuWerKo – Kunststoff, ein moderner Werkstoff im kulturhistorischen Kontext“ in Köln. Geniale Sache: Ein interdisziplinäres Vorhaben, an dem Historiker, Restauratoren und Ingenieure mitgearbeitet haben – unter anderem Professor Christian Bonten aus Stuttgart und Professorin Friederike Waentig aus Köln, die ich bereits seit längerem kenne. Gemeinsame Frage: Wie kann man Teile aus Kunststoff möglichst lange in Form halten, damit auch kommende Generationen sehen, wie wir im 20. und 21. Jahrhundert gelebt haben? 

 

Unsere Erinnerungen hängen ja nicht nur am verregneten Strandurlaub 1972 auf Mallorca und seltsamer Musik von Leuten in viel zu engen Hosen, sondern auch am Plastik-Fön im Raketendesign, mit dem sich unsere Mutter schön gemacht hat und Möbeln a la „Raumstation Alpha Eins“, in denen unsere Eltern sich mit Freunden über Willy Brandt den Kopf heiß diskutiert haben.

 

Das Problem: Das alles zu erhalten ist gar nicht so einfach, denn das Zeug zerbröselt ja mit der Zeit. Das weiß jeder, der mal einen über Jahrzehnte vergessenen Karton aufmacht und darin sein altes Kinderspielzeug findet. Sagen wir mal so: Die Erinnerungen halten da oft etwas anderes bereit als man da zu Tage befördert. Inzwischen gehören da feine Risse und klebrige Oberflächen fast zum guten Ton; von ehemals glänzenden Kunstlederklamotten fallen die Lackschichten ab, Gummispielzeuge sehen aus wie von einem Riesen gekaut, auf die Straßen gespuckt und plattgetreten. Mit welcher Anmutung diese Dinge 2050 einmal überzeugen könnten, möchte man sich nicht ausmalen.

 

Ingenieure kalkulieren das inzwischen längst ein, die haben schließlich ganz bewusst das Alter auf dem Reißbrett, das ein Produkt maximal erreichen soll – je nach Preis. Bei Billig-Billig statt Bling-Bling kommt einem die Dichtung der Waschmaschine dann eben schon nach etwa sieben Jahren entgegen statt nach zwanzig. Abwasserrohre sind immerhin auf etwa 35 Jahre ausgelegt – was zeigt, was Kunststoffe heute alles können könnten, wenn man sie denn ließe.

 

Gut, Chemiker, die sich mit dem "chemischen Werkstoff" Kunststoff hätten auseinandersetzen können (und vielleicht hätten müssen), fehlten auf der Tagung. Dabei war die Chemie in Düsseldorf der Elefant im Raum, denn es geht ja um Dinge, die aus speziell gestalteten Molekülen bestehen. Und wie die sich dann in der Praxis verhalten, zum Beispiel, wenn zu viel Sonne drauf scheint oder jemand das Produkt immer wieder mit schwitzigen Händen anfasst. Das ist eben Chemie. Letztlich zeigt sich hier, dass eben doch jeder bei seinem Leisten bleibt: Ingenieure finden halt ihre Disziplin wichtiger. Und Restauratoren ahnen vielleicht nicht einmal, was für Schlachten in alten Disney-Figuren über die Jahrzehnte so geschlagen werden.

 

Ein Beispiel: Manche Kunststoffe vergilben geradezu fürchterlich. Ingenieurs-Ansatz: Messen, wie stark die Vergilbung ist, damit man am Ende wenigstens ein paar reproduzierbare Zahlenwerte hat. Chemiker-Ansatz: Wieso wird das eigentlich Gelb bzw. Braun? Welche Chromophore spielen da bei dem gegebenen Polymer samt Additiven eine Rolle und kann man dagegen wirklich nichts machen – wenn Geld keine Rolle spielte? 

 

OK, nach Geld für Kultur zu fragen, ist heute so, als ob man, um beim Beispiel Disney zu bleiben, Dagobert Duck um seinen ersten Taler bittet. Kultur ist halt Gedöns – seit Corona erst recht. Da hat man Museen lieber geschlossen als Baumärkte. Das hat natürlich Gründe. Und prägt.

 

Trotzdem: Mir hat enorm Spaß gemacht, zu sehen, auf wie viele Arten und Weisen man sich dem Werkstoff Kunststoff nähern kann. Welche verschiedenen Schwerpunkte Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen setzen und was sie dabei herausfinden. Das kribbelt unter der Hirnhaut! Wie immer, wenn man auf neue Ideen gebracht wird.

 

Besonders beeindruckt haben mich die Vorträge, in denen sich eine Kunsthistorikerin mit dem Thema "Farbe" auseinander gesetzt hat. Warum haben wir die 1970er eigentlich fast durchweg als "Orange" in Erinnerung – obwohl auch Braun, Lila und Blau im Spiel waren, wie mancher sich vielleicht mit Schrecken erinnert?

 

Orange als Warnfarbe? Dass sich Manche zu indischen Gurus hingezogen fühlten, die in orangen Wallerklamotten herumliefen? Dass Orange für Sonne und Sommer steht? Oder für Müllwagen? Niemand weiß es mehr. Trotzdem gibt es (mindestens einen) Hersteller von Kunststoff-Stühlen, der für seine Produkte in 1970er-Orange immer noch mehr Geld verlangt als für die ansonsten identischen polymeren Sitzgelegenheiten in Weiß oder Rot. 

 

Irgendjemand muss halt immer bezahlen für die Sünden der Vergangenheit.

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