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Zum Tod des Elektronik-Pioniers Klaus Schulze

„Ihr habt nen Jeep? Prima, den könnt ihr auch brauchen.“ Das war so ziemlich das erste, was ich von Klaus Schulze gehört habe. Also so richtig jetzt, persönlich, meine ich, abgesehen natürlich von den vielen Platten, die schon in meinem Regal standen und den vielen anderen, die ich zur Vorbereitung des Termins durchgehört hatte. Für ein Interview, das ich 2006 für das Magazin KEYBOARDS mit dem Großmeister der Elektronischen Musik führen durfte. 

 

Tatsächlich war der Jeep eine gute Idee, denn Schulze lebte – kein Klischee! – abgeschieden in einem Waldstück am Rande eines winzigen Örtchens mitten in Norddeutschlands ausgedehnter Heidelandschaft. Hier konnte er Musik machen so viel er wollte. Und in dem Studio, das er sich in seinem Bungalow eingerichtet hatte, entstand viel Musik.

 

Als wir dann nach einigen Irrfahrten ankamen – das Navi hatte längst die weiße Fahne gehisst – und wir im tiefen Sandboden eines Nadelwäldchens allmählich voran schlichen, war mein erster Gedanke: Vielleicht entstehen die besten Ideen tatsächlich in der Abgeschiedenheit. Nun ist es natürlich nicht so, dass Schulze ein weltvergessener Nerd war: Er spielte zum Beispiel gerne Skat mit Leuten in einer Dorfkneipe in der Nähe. Und die wenigstens haben wohl geahnt, mit wem sie da Karten kloppten. Trotzdem: Ablenkung kann man hier mit der Lupe suchen. Obwohl: „Der Wald gibt ein prima Echo“, so Klaus. Tatsächlich hatte Schulze sich bewusst aus dem quirligen Berlin hierhin verpflanzt; seinen Berliner Akzent hat er indes noch nicht abgelegt.

 

Nun ist Klaus Schulze verstorben: Seit dem 26. April 2022 ist die Musik um einen ihrer begnadetsten Vertreter ärmer. Und ich gebe zu: Das zerreisst mich. Ich habe diesem Mann viel zu verdanken, ohne dass er es weiß: Er war einer der ersten, die mir gezeigt hatten, dass ich im Herzen auch ein Künstler bin. Wir hatten damals sofort einen Draht zueinander gefunden.

 

 

Einfach machen!

 

Eigentlich wollte ich diese Woche ein anderes Thema in meinen Blog wuchten, aber aus dem gegebenen, traurigen Anlass schmeiße ich meine Planung um. Das Interview, für das sich Klaus fast sechs Stunden Zeit genommen hatte, war damals nämlich nur arg gekürzt erschienen. Unter den Tisch gefallen waren auch eine Menge Fragen zu Dingen, die ich hier in diesem Blog behandele: Kunst und Kreativität.

 

Ich habe mir das Manuskript also noch einmal angesehen und möchte hier zumindest diese Passagen noch einmal bringen. Klaus hatte das Interview damals freigegeben und die KEYBOARDS-Redaktion hat auch nichts dagegen. Die Teile, die sich mit seiner Studiotechnik und seinem damaligen Instrumentarium befassen, lasse ich hier allerdings auch weg – das ist für Nicht-Freaks vielleicht doch eher abwegig. Und in 16 Jahren hat sich unglaublich viel getan. Einige Antworten sind auch etwas gekürzt, etwa da, wo es zu technisch wurde, und hier und da habe ich mehrere zu einer einzigen verdichtet.

 

Aber Klaus’ Ansatz wird auch so klar: einfach mal machen. Begeisterung leben! Warum etwas zwei mal machen? Und Fehler sind auch nicht schlimm. 

 

Ich sehe seine Ermutigungen als sein Vermächtnis an diejenigen unter meinen Lesern, die (wie ich damals) vielleicht gerade auf dem Sprung sind, kreativ zu werden und nicht wissen, wie das geht und wie man sich das überhaupt trauen kann, heutzutage, wo man doch angeblich in allem gleich Experte sein muss.

 

Vorher noch kurz was zu Klaus’ Vita: Gründungsmitglied von Tangerine Dream (damals allerdings noch als Drummer), dann kurz bei Ash Ra Tempel dabei und später nebst Kraftwerk und Can zum Krautrock-Urge­stein geadelt und in den globalen Konfettiregen aufgestiegen. Mit seinem Telefonschrank-Moog-Synthesizer wurde er noch in den 1970ern zum Inbegriff des vermeintlichen „Steckdosenmusikers“, an dessen elektronischen „Sphärenklängen“ sich konventionell denkende und fortschrittlichere Geister schieden. 

 

Heute sind die Instrumente, die er damals hoffähig machte, so selbstverständlich wie Bratschen in Bruckner-Sinfonien. Ein großer Teil seines damaligen Setups ist allerdings längst vertickt. Sein alter Monster-Moog immerhin steht in einem Museum. Bei Schulzens sieht man’s pragmatisch: Die alten Teile nahmen Platz weg und waren ständig verstimmt.

 

 

Mit „Sternwartenmusik“ angefangen – und reihenweise Musiker inspiriert

 

Aber Schulze war auch der Zünder vieler Schockwellen, die die Elektronische Musik in der Post-Krautrock-Ära durchliefen. NDW (Ideal) oder Pop (Alphaville) – der Mann hatte in vielem seine Tasten und Fader drin. Seinen Fans ist Schulze vor allem durch „Sternwarten“-Mu­sik á la „X“, seinem zehnten und ersten richtig erfolgreichen Album, lieb und teuer geworden. Dabei hat er in den vergangenen 40 (!) Jahren mehr innovative Platten vorgelegt als andere von Hand gespielte Noten – weit über 150 sollen es sein. In seinen besten Zeiten ploppte Vinyl und Polycarbonat fast im Halbjahresrhythmus aus seinem Studio – darunter auch Film­musiken und zwei Opern. 

 

Seine Arbeiten entstanden aber nicht nur unter eigener Flagge, sondern immer wieder auch in Kooperation mit anderen Künstlern, die an seinem Pult auch mal die Regler drehten. Besonders gerne tauschte er sich mit Lisa Gerrard aus, die vielen als Sängerin von Dead Can Dance und (wie auch mir) aus dem elegischen Gladiator-Soundtrack bekannt sein dürfte. Allein darüber könnte man viel schreiben; ich durfte auch Lisa für die Linernotes für eine gemeinsame Platte mit Klaus mal kurz interviewen. Auch eine prägende Erfahrung: Lisa reiste einmal mit Ihrem Gärtner (!) zu Aufnahmen im Schulze-Bungalow an. Andere nehmen höchstens ihren Tontechniker mit. Klaus fand das großartig.

 

Als wir uns trafen, arbeitete er gerade an einem Werk, das er mit gleich zwei Chören, insgesamt 60 Stimmen, einspielen wollte. „Da werden allerdings einige Fans wieder schimpfen. Stimmen kommen ja eigentlich nicht so gut an …“. Klaus respektierte und liebte seine Fans, die sorgten ja dafür, dass er sein Leben lang Musik machen konnte, wie er sagte. Aber es ging ihm eben auch um die Musik: „Man kann ja einen Schritt nach vorn machen und dann wieder ein bisschen was, was die Leute gerne möchten.“

 

 

Schräge Sounds aus einem überforderten Verstärker

 

Klaus, du hast schon Elektronische Musik gemacht, als es noch gar keine Synthesizer gab.

 

Ja! Auf Cyborg zum Beispiel hört man einen Fender-Verstärker, in den ich den Lautsprecherausgang wieder reingegeben habe, mit ein bisschen Tremolo. Der Verstärker war nach einer halben Stunde kaputt, dann musste man eine neue Röhre reinschrauben. Ich war oft im Laden, um mir neue zu besorgen! Aber das war eben mein erster „Synthie“, und der hatte Sounds drauf, die keiner kannte (lacht). 

 

Die Timewind habe ich auf einem Stereotonbandgerät aufgenommen. Meine erste 16-Spur-Auf­nahme war die Moondawn. Um Overdubbing zu machen, konnte man bei dem Stereorecorder höchstens mal den Löschkopf rausnehmen, aber dann ging auch das Rauschen hoch. Die Timewind habe ich übrigens an einem 7. Juni 1975 zwischen 22 und 24 Uhr aufgenommen – das stand auf einem Zettel, den wir bei den Bändern gefunden haben (lacht).

 

 

Hattest Du für diese Experimente eigentlich Vorbilder – und wie ging das damals los?

 

Ich bin ja ein totaler Pink Floyd-Fan. Die sind für mich eine Art Wagner der Neuzeit. Die haben mich erst zu meiner Musik gebracht. Wir haben ja alle zuerst nur versucht, andere Musik nachzuspielen. Erst, als ich A Saucerful of Secrets gehört hatte, habe ich gemerkt, dass man auch anders Musik machen kann. 

 

Dass wir mit unserer Musik Erfolg hatten, war schon komisch. Na ja, wir haben unsere Musik ja damals nur für uns gemacht, eigentlich war das Punk! Irgendwann wurde aber die Kunstszene auf uns aufmerksam. Wir haben zum Beispiel auf Ausstellungseröffnungen gespielt. 

Dann hatten wir in Frankreich Erfolg – ich erinnere mich an ein Konzert mit mir, Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Kraftwerk, das kam in den Kritiken sehr gut weg. Und über diesen Umweg hat man uns dann auch in Deutschland irgendwann bemerkt.

 

In der Art, wie Pink Floyd und ich Musik gemacht haben, gibt es übrigens Parallelen. Die haben auch damit angefangen, dass jemand ein paar Stunden lang ein A spielt und die anderen machen dann irgendwas dazu. Pink Floyd hat das dann aber immer schön ausarrangiert und hitfertig gemacht. Schulze hat das immer so ge­lassen (lacht).

 

 

Begeistert wie ein Kind

 

Viele Fans behaupten immer noch, dass die besten Schulze-Platten aus den Siebzigern kommen. Aus der Zeit vor der Sample-Technologie. [Anmerkung: Sampler sind digitale Instrumente, die Klänge aufnehmen und in verschiedenen Tonhöhen wieder abspielen können]

 

Na ja, in den 80ern habe ich vielleicht ein bisschen zu viel Samples benutzt, das geb’ ich ja zu. Aber das war auch etwas ganz Neues! Plötzlich konnte man eine Tabla oder eine Sitar selber spielen! Gut, das war kein perfekter Ersatz, aber Du hattest eben den Klang. Da war ich wie ein kleines Kind – total begeistert! Da setzt man die neuen Klänge auch überall ein und macht die möglichst laut, damit die auf jeden Fall zu hören sind. 

 

Heute sehe ich das natürlich etwas anders. Du musst eben immer erst lernen, mit einem neuen Medium umzugehen. Heute setzt man die Möglichkeiten etwas zurückhaltender ein. Aber wir waren eben Pioniere, darum sollte man uns das vielleicht verzeihen. Wenn man ein neues Auto hat, fährt man damit auch erst mal Vollgas, später wird man dann langsamer und merkt, dass das auch schön ist.

 

 

Ist das Auswählen von Presets Kunst? [Anmerkung: Presets sind ab Werk voreingestellte Klänge an Synthesizern] 

 

In der Elektronik bist Du ja nicht nur Sounddesigner, sondern auch Soundaussucher! Ich suche Sounds, die in etwa in meine Richtung gehen und biege mir die dann zurecht. Und du hast den Klang dann ja oft im Nu an deine Vorstellungen angepasst.

 

Aber mich hat ja auch nie interessiert, wie die Synths innendrin funktionieren. Das sind Werkzeuge. Die Techniker, die wollten die immer aufschrauben. Die sehen dann tolle Bausteine drin und ein stabiles Netzteil, „damit kannste arbeiten, Klaus“ – das sind gute Leute, aber die haben eben eine ganz andere Attitüde. Auch der Christoph [Franke, Ex-Mitglied bei Tangerine Dream] hat seine Instrumente aufgeschraubt und verändert. Ich habe aber nie gebohrt oder Schalter eingebaut. Mir ist der Sound viel wichtiger. Wenn das Instrument gut klingt, nehme ich’s, auch wenn da Joghurt drin ist. […] Ich habe [auch] keine Ahnung, wie ich die Resonanz aufdrehen muss, damit der Sound gut klingt, das muss ich ausprobieren. […] Und man muss ja nicht alles haben.

 

[…] Es ist ja wirklich ein Ding, dass die Leute ihre Instrumente so schnell wechseln. Viele kaufen sich ja nur einen Synthie, weil da neue Sounds drauf sind. Obwohl die der alte auch könnte. Das siehst Du zum Beispiel am D-50. Der war mal überall zu hören. Dann waren die Klänge unmodern und der Synth weg vom Fenster. Also her mit dem nächsten. Darum klingen ja auch so viele Pop-Produktionen gleich, weil alle dieselben Synths benutzen. Dieses Presetdrücken macht zu bequem. Du musst Dich mit dem Gerät auseinandersetzen!

 

 

Wenn du live spielst, wie setzt du dann die Sounds von Deinen Platten um?

 

Ich habe noch nie was von einer Platte live gespielt. Wieso soll ich irgendwas noch mal spielen? Jedes Konzert ist ein Unikat. Wenn die Leute zu Beginn unruhig sind, bekommen die erst mal ein paar Sequenzen [Anmerkung: das sind Folgen von meist acht bis 16 Noten, die sich ständig wiederholen]. Wenn das Publikum still ist, fange ich elegischer an. 

 

[…] Sequencer haben ja die elektronische Musik mal ausgemacht, die haben so was hypnotisches, mantraartiges. Die Musik dahinter ist ja oft eher befremdend, aber der Sequencer macht’s dann. Ich bin […] nicht Mozart, der morgens aufwacht und eine neue Sequenz im Kopf hat. Ich muss die entwickeln. Wie eine Sequenz wirkt, kann man ja erst erkennen, wenn die durchläuft. Da lasse ich dann ein dadadadadadada kommen und ändere die Noten dann nach und nach.

 

[…] Bei Konzerten bin ich ja für die Leute da und spiele, was die hören wollen. Bei Platten ist das anders, da kann man sich ja aussuchen, ob man die hören möchte, aber für ein Konzert hat man ja Eintritt gezahlt – sogar eine ganze Menge. Da sollen die Leute ruhig bekommen, was sie erwarten.

 

 

Wie bereitest du dich auf deine Konzerte vor?

 

Ich habe natürlich immer ein paar Sachen in Petto für den Fall, dass ich mal nicht gut drauf bin. Ich habe ja keinen Gitarristen oder so, der den Abend dann für mich trägt oder ein Solo spielt, wenn mir nix einfällt. Aber es kommt sehr selten vor, dass ich darauf zurückgreifen muss.

 

 

Fehler einfach in kauf nehmen

 

Wie gehst Du mit Fehlern um?

 

Die nehm’ ich in kauf, live sowieso, aber manchmal auch im Studio, zum Beispiel wenn eine Linie ansonsten gut durchgelaufen ist. Bin ja nicht der perfekte Keyboarder. Ich editiere jedenfalls nicht! Komm’ ja aus der Mehr­spurtechnik. Für mich ist der Computer eine Bandmaschine. So sechs, sieben Fehler oder so sind mir [aber] auch zuviel, das spiele ich dann doch noch mal neu. 

 

[…] Es kann sein, dass im Mix 50% der eingespielten Linien gar nicht benutzt werden. Ich muss ja bei einem Witz nicht auch noch die Pointe erklären. Beim Einspielen verliebt man sich manchmal in das Stück, dabei kommen dann Linien raus, die dramaturgisch später nicht so wichtig sind. Oft kommen die Anfänge eines Solos gar nicht auf die CD, und wenn der verbliebene Rest die Spannung nicht mehr trägt, fliegt der auch wieder raus. Am Ende hab’ meist nicht mehr als zwölf Spuren zusammen. Man muss die Stücke eben im Zusammenhang sehen. Außerdem will man ja auch nicht nach 20 Minuten schon die ganze Munition verschossen haben (lacht). […] Kurze Stücke kann ich nicht. Das liegt vielleicht daran, dass ich mit 13, 14 immer so lange Musik gehört habe. Tschaikowsky! So was fand ich toll!

 

 

Hast Du bei so langen Stücken immer im Blick, wann die Harmoniewechsel kommen?

 

Nö. Das mach’ ich nach Gehör. Aber man kann ja dann zum Beispiel Noten spielen, die in beiden Akkorden vorkommen. Kann sich ja höchstens um drei bis vier Takte handeln, die man zu früh dran ist (lacht). Wichtig ist übrigens bei Schulze, dass du nur Umkehrungen spielst [Anmerkung: Umkehrungen sind Varianten von Akkorden, die nicht auf dem Grundton aufbauen]. Da greifen die Akkorde viel besser ineinander, da fallen die Übergänge nicht so auf. Aber ich hatte neulich eine Opernsängerin hier, die hat trotzdem auf den Punkt jeden erkannt. Keine Ahnung, wie die das geschafft hat.

 

Meine Lieblingstonart ist b-Moll. Ich weiß auch nicht warum, aber hör Dir mal das an (spielt einen Akkord in b-Moll) und dann das (spielt etwas in C-Moll). Völlig anders, ne? Für Streicher ist das natürlich furchtbar. Wolfgang Thiepold hat mich mal gefragt, ob das wirklich sein müsse, aber er hat’s dann doch gespielt. Das Stück habe ich gleich „Agonie“ genannt, so klang das dann (lacht). 

Der Autor und der Meister: Klaus Schulze (rechts) in seinem Studio. Der alte "Telefonzentralen"-Moog war 2006 schon ausgemustert, aber weil die Fans diese Soundwand vermissten, hatte Klaus sich kurzerhand eine aus moderneren Synths zusammengestellt.

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